Fakultät für Biologie

Belohnungsgedächtnis ohne Belohnung

06.08.2019

Forscher der Universitäten Leipzig und Würzburg haben neue Erkenntnisse über die neuronalen Grundlagen der Gedächtnisbildung bei der Fruchtfliegenlarve (Drosophila) gewonnen. Geholfen hat ihnen dabei ein technischer Trick.

Bild eines Pilzkörpers: In diesem Teil des Gehirns der Fruchtfliegenlarve werden Gedächtnisse gespeichert.
Bild eines Pilzkörpers: In diesem Teil des Gehirns der Fruchtfliegenlarve werden Gedächtnisse gespeichert. (Bild: Mareike Selcho / Universität Leipzig)

Präsentiert man den Larven der Fruchtfliege Drosophila wiederholt einen bestimmten Duft kombiniert mit einer Art Belohnung – in diesem Fall einer geringen Menge Zucker – und im Gegensatz dazu einen zweiten Duft, diesen allerdings ohne Belohnung, lernen die Tiere schnell. Schon nach kurzer Zeit ist ihnen klar, wohin sie sich wenden müssen, wenn ihnen später beide Düfte gleichzeitig, aber aus unterschiedlichen Richtungen präsentiert werden. Auf der Suche nach dem belohnenden Zuckerstimulus laufen sie zu dem ersten Duft, weil dieser für sie mit Zucker assoziiert ist. Diese Form des Lernens wird von der Wissenschaft als „Belohnungslernen“ bezeichnet.

Studie in Nature Communications

Belohnungslernen lässt sich bei Fruchtfliegen allerdings auch ganz ohne Zuckereinsatz aktivieren. Mit Hilfe einer speziellen Technik – der sogenannten Optogenetik – haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Würzburg und Leipzig im Gedächtniszentrum im Gehirn der Tiere ein Belohnungsgedächtnis erzeugt und dabei neue Einblicke in den strukturellen Aufbau des Fliegengehirns gewonnen. Die wesentlichen Arbeiten für diese Studie liefen am Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU); daran beteiligt waren Hauptautor Dr. Dennis Pauls sowie Dr. Mareike Pauls-Selcho und Radostina Lyutova. Dennis Pauls und Mareike Pauls-Selcho sind mittlerweile von der JMU ans Institut für Biologie, Abteilung Tierphysiologie, der Universität Leipzig gewechselt. Die Ergebnisse dieser Studie hat das Team jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Im Belohnungslernen der Insekten spielt der Botenstoff Dopamin – ähnlich wie beim Menschen – eine wichtige Rolle. Er vermittelt dem Pilzkörper, dem Gedächtniszentrum im Gehirn der Tiere, dass es eine Belohnung, etwa durch Zucker, gibt. „Durch Einsatz von Optogenetik haben wir nun künstlich in diesen Neuronen ein Belohnungsgedächtnis erzeugen können. Dies weist darauf hin, dass es eine neuronale Rückkopplungschleife zwischen den Pilzkörper-Neuronen und den dopaminergen Belohnungsneuronen gibt“, schildert Dr. Dennis Pauls das zentrale Ergebnis der Studie.

Mit Lichtimpulsen ein Gedächtnis erzeugen

Optogenetik erlaubt es Wissenschaftlern, die elektrische Aktivität von Zellen mit Lichtimpulsen zu steuern. Durch den Einbau lichtempfindlicher Ionenkanäle in die Zellwand können sie beispielsweise mit Lichtsignalen spezifisch ausgewählte Nervenzellen aktivieren und – wie in diesem Fall – bei Fruchtfliegenlarven ein Gedächtnis erzeugen.

In ihren Experimenten haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die eigentlichen Gedächtnisneurone, die sogenannten Kenyonzellen optogenetisch aktiviert. „Dies hat ausreicht, denn die Aktivierung der Kenyonzellen hat über den von uns neu identifizierten Feedback-Signalweg dafür gesorgt, dass dopaminerge Neurone aktiv werden“, erklärt Pauls. Genau diese dopaminergen Neurone werden auch durch eine echte Belohnung wie beispielsweise Zucker aktiviert und geben dieses Signal dann an die Kenyonzellen weiter. Dort wird dann eine Belohnung mit dem Duft assoziiert abgespeichert. „Wir haben also optogenetisch einen Loop angeschaltet, der dafür sorgt, dass Kenyonzellen eine Information über eine Belohnung bekommen, die eigentlich gar nicht da ist“, so Mareike Selcho.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es eine komplexe Informationsverarbeitung zwischen den dopaminergen Neuronen und den Pilzkörperneuronen gibt“, sagt Radostina Lyutova von der Universität Würzburg, die Erstautorin des Artikels. „Abhängig von der aktuellen Situation oder dem Zustand des Tieres können Gedächtnisse stärker und schwächer ausgeprägt werden und sich so als Kurzzeitgedächtnis oder Langzeitgedächtnis entwickeln“, schildert Andreas Thum, Inhaber des Lehrstuhls Genetik an der Universität Leipzig, ein weiteres Ergebnis der Studie.

Neue Feedback-Signalwege identifiziert

Dopaminerge Neurone sind auch im menschlichen Gehirn von zentraler Bedeutung, nicht nur – ähnlich wie bei den Fruchtfliegen – im Belohnungssystem bei Lern- und Gedächtnisvorgängen, sondern auch bei Suchterkrankungen bis hin zu Erkrankungen wie Parkinson und Demenz.

Reward signaling in a recurrent circuit of dopaminergic neurons and peptidergic Kenyon cells. Radostina Lyutova, Mareike Selcho, Maximilian Pfeuffer, Dennis Segebarth, Jens Habenstein, Astrid Rohwedder, Felix Frantzmann, Christian Wegener, Andreas S. Thum & Dennis Pauls. Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-019-11092-1

Kontakt

Radostina Lyutova, Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik, T: +49 931 31-83508, radostina.lyutova@uni-wuerzburg.de

Dr. Dennis Pauls, Abteilung Tierphysiologie, Institut für Biologie der Universität Leipzig, T: +49 341 97 36776, dennis.pauls@uni-leipzig.de

Von Universität Leipzig / Gunnar Bartsch

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